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Chile: Bericht über die proletarische Revolte in Santiago

Sonntag 20. Oktober 2019

Der gestrige Tag, 18. Oktober, öffnete die Büchse der Pandora des proletarischen Aufstands in Chile. Von nun an wissen wir nicht, was passieren wird. Das Proletariat ist auf den Straßen und weder das Militär noch die Bullen können dem Aufkommen seiner dezentralen und anarchischen Aktionen etwas entgegenwirken. Überall gibt es Barrikaden und Topfschlag-Proteste. Die Fahrpreiserhöhung hat sich als die Spitze des Eisbergs erwiesen, aber tief im Inneren wusste jeder, dass die chilenische Gesellschaft eine Zeitbombe war. Die Prekarisierung des Lebens ist unerträglich - eine Dürre die immer weiter fortschreitet, die Lebenshaltungskosten sind unverschämt hoch, 80 % der Bevölkerung lebt verschuldet und die Renten sind ein historischer Betrug. Zweifellos war der Aufstand in Ecuador eine Inspirationsquelle für die Massen, die sich mit der Wut unserer Brüder und Schwestern im Norden identifizieren. Es gibt viele Gründe.

Auf den Straßen herrscht Zorn, Empörung und Wut gegen die Polizei, aber auch Solidarität, ein lebendiges und lautes Durcheinander und Ekstase, weil wir auf den Straßen sind und Seite an Seite gegen das kämpfen, was uns unterdrückt. Dutzende Busse wurden abgefackelt, das Firmengebäude von ENEL (einem privaten multinationalen Unternehmen aus dem Elektrizitätssektor) wurde niedergebrannt, 7 U-Bahn-Stationen in Brand gesetzt, mehrere Supermärkte und Geschäfte geplündert, ein Denkmal der Bullen, mitsamt ihrer Flagge, wurde ebenfalls den Flammen überlassen. Die Stadt brannte an allen Ecken.

Heute, 19. Oktober, scheint der Konflikt weiterzugehen. Präsident Piñera verbrauchte die Patronen des Militärs viel zu schnell und auf den Straßen beginnen die Menschen, sich zu sammeln, Straßen zu blockieren, die Topfschlag-Proteste begannen bereits am Mittag und werden sich bald in Straßenproteste verwandeln. Es herrscht eine allgemeine Angst, aber auch Wut über die Militärpräsenz, die unmittelbar an die Zeiten der Diktatur erinnert. Aber die Stimmung ist besser denn je. Der Kampfeswille ist in der Luft zu riechen. Diese Tage werden Geschichte schreiben.

Von den Straßen Santiagos aus, mit dem Herzen in der Hand und einer Leidenschaft, die die alte Welt in Flammen sehen möchte, rufen wir zur internationalen Solidarität und zur Ausweitung der Revolte auf. Wir wissen, dass es der Beginn von etwas Schönem ist. Wir wissen, dass dieser Weg nicht ohne Schmerz sein wird, wie das Leben selbst.

Hic Rhodus hic Salta!

Stürzen wir uns ins Leben! Proletarier*innen der Welt vereinigt euch gegen die kapitalistische Katastrophe, jetzt ist es an der Zeit!Santiago de Chile, 19. Oktober 2019

Aus dem Spanischen übersetzt von Mariana Lautréamont.

Quelle

Flugblatt vom 19. Oktober, Vorder- und Rückseite:

Die Demokratie ist die Diktatur des Kapitals! Für die Aufhebung des Ausnahmezustands! Militär und Polizei weg von den Strassen!

Die massive Revolte vom 18. Oktober war nicht nur gegen die Erhöhung der Transportpreise gerichtet, sondern es war eine Rebellion gegen die totale Ungerechtigkeit, die unsere Leben regiert: Bezahlen, um zu leben, und leben, um zu bezahlen. Wir rebellieren, weil wir nicht mehr Sklaven des Geldes, der Lohnarbeit und des Kapitals sein wollen. Wir sind menschliche Wesen, keine Waren! Wir rufen alle Ausgebeuteten zur Selbstorganisation und zur Rebellion gegen den Ausnahmezustand auf! Gestern war ein grosser Sieg, zeigen wir unsere Stärke auf den Strassen. Jetzt kommen wir für mehr.
Auf dass der Kampf des Proletariats die Unentgeltlichkeit des Transports durchsetzt! Für den Kommunismus und die Anarchie!

Flugblatt vom 18. Oktober, Vorder- und Rückseite:

Bezahlen, um zu leben, leben, um zu bezahlen
Springen wir über das Drehkreuz des Nicht-Lebens

Gegen die Erhöhung der Ticketpreise um $830CLP, eine neue Massnahme, die unsere Existenzen noch prekärer macht rufen wir alle Ausgebeutete zu Revolte und Selbstorganisation auf! Kämpfen wir für die Unentgeltlichkeit des Transports, denn es ist inakzeptabel, dass wir bezahlen müssen, um zu jener Arbeit zu fahren, die uns das Leben raubt.
Wir sind keine Waren!
Spring über das Drehkreuz!

Froher erster Tag unseres Lebens

Wir sind heute erwacht und blicken dem Leben in die Augen. Bis zum Montag, den 14. Oktober, stand unsere Ohnmacht im Vordergrund. Eine Ohnmacht die sich aus unseren scheinbar erfolglosen Bemühungen, etwas zu verändern, nährte. Bis zum Montag beklagten wir uns nur. Sei es im Bus, am Arbeitsplatz, in den Schulen, an Familien- und Freundschaftstreffen, in den Quartieren oder in den autonomen Organisationen, die, trotz der ewigen Lethargie, an unterschiedlichen Orten aus dem Boden schießen. Die Lethargie schien ein wesentliches Merkmal der Menschen in Chile zu sein. Doch im Alltag wurden die Klagen immer lauter und häufiger, Leute beschwerten sich über die Wasserknappheit, die unser Überleben bedroht, über die Verschmutzung in denjenigen Regionen, die für die Industrie aufgeopfert werden und den Tod von Kindern zur Folge haben, über die erbärmlichen Renten, die unsere Großeltern in den Selbstmord treiben, über den permanenten Diebstahl den wir, in Form von Straßenbenutzungsgebühren und den Preisen des öffentlichen Verkehrs, über uns ergehen lassen müssen, über die miserable öffentliche Gesundheitsversorgung und auch, weil niemand genügend Mittel hat, um sich bis Ende des Monats über Wasser halten zu können. Diese Klageschreie waren oft von Hoffnungslosigkeit begleitet. Wir trauten bereits den Leuten kaum zu, zu erwachen, der Realität ins Auge zu sehen und zu rebellieren.

Die kämpfenden Menschen in Ecuador waren eine Inspirationsquelle. Dies, gekoppelt an den Mut der hiesigen Sekundarschüler*innen, war der Funke, der den Schmerz entflammte, den wir jede Nacht zu Bett tragen. Wir leben in Angst, weil wir nicht wissen, wie wir unsere Probleme lösen können, wie wir weitermachen können, wie wir überleben sollen. Unsere Körper werden jeden Tag kranker, unser Verstand leidet immer mehr, und wir weigern uns die Zeichen, die er uns sendet, zu akzeptieren. Lösungen soll es scheinbar nur auf individueller Ebene geben, wir verkriechen uns in individuellen Therapien und trachten nach Placebo-Effekten. Die Aussicht unseres baldigen, nicht-zufälligen Aussterbens zieht uns runter. Angesichts der fortschreitenden Zerstörung der Erde, scheint die einfachste Lösung zu sein, die gesamte Menschheit zum Geschwür und Pest in Einem zu deklarieren, genauso wie es die dystopischen Bilderwelten auf den Bildschirmen suggerieren:
Die Menschheit ist so oder so verloren, sie kann, angesichts des Kapitalismus, nur verlieren, und nicht der Kapitalismus, sondern alle Menschen sollen gleichermaßen Schuld an der gegenwärtigen Klimakrise sein. Man versucht uns die Verantwortung für die aktuelle Misere zu geben.

Am vergangenen Montag gingen die Sekundarschüler*innen in Scharen auf die Straßen, was natürlich unsere Herzen erwärmte. Unbekannte Szenen spielten sich ab: Unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Generationen unterstützten die unzähligen Aktionen, die die Kontrolle und die herrschende Ordnung in Frage stellten und das heilige Privateigentum bedrohten. Die Topfschlag-Proteste sind in der ganzen Stadt zu hören und sie scheinen zu beteuern, dass weder der soziale Frieden noch das langsame Dahinsiechen erstrebenswerte Optionen sind.

Die kapitalistische Klasse und ihr Verbündeter, die bürgerliche Presse, sind empört und beklagen sich über die Proteste. Sie haben genug Kapazität, um ihre Verachtung uns gegenüber durch lautes Geschrei kundzutun, doch wir haben heute beschlossen, nicht auf sie zu hören. Wir werden beide gleichermaßen mit ihren Lügen, wie auch mit der Verantwortung, die sie gegenüber unser geraubtes Leben haben, konfrontieren. Unser Geist, unser Körper, unsere Erde, alles wird vernichtet, sie plündern uns das Leben weg. Vergessen wir nicht, dass Chile die Gesellschaft mit den meisten psychischen Problemen in ganz Lateinamerika ist. Doch wir sind nicht bereit mit leeren Händen dazustehen, gemeinsam sind wir stark und wir brauchen die herrschende Klasse nicht.

Die immer gleichen Opportunisten versuchen kollektive Forderung zu stellen, versuchen Petitionen zu lancieren. Doch die Realität sieht anders aus. Dies ist ein spontaner Aufstand, es gibt keine Liste mit Forderungen die uns ruhig stellen könnte, wir haben keine Vertreter*innen, denn, was uns umbringt, ist die Gesamtheit des Lebens im Kapitalismus.

Um 16.30 Uhr des heutigen Tages behauptete die Bürgermeisterin Karla Rubilar: ’Was die Menschen brauchen, ist Ruhe und Frieden.’ Dazu beteuerte sie, dass niemand friedliche Proteste (die die öffentliche Ordnung nicht stören) verhindern wolle. Bis gestern Abend wurden die Protestierenden als Kriminelle bezeichnet und den Protesten wurde jegliche Legitimität abgesprochen. Doch nun scheinen alle politische Sektoren auf magische Art und Weise die angestaute Unzufriedenheit anzuerkennen. Uns wurde über Jahre hinweg stillschweigend unsere Zeit geraubt. Die Herrschenden sind verzweifelt, sie wissen, dass wir keine Angst haben, sie greifen zu ihrer stärksten Waffe, dem Militär, das vor einigen Jahrzehnten versucht hat, eine ganze Generation von Revolutionär*innen auszulöschen. Doch die Leute bleiben auf den Straßen, sie weigern sich, sich in ihren Häusern zu verkriechen. Wir wollen euer Frieden nicht. Wir wollen leben, wirklich leben.

Die von Student*innen initiierten massenhaften Umgehungen der Zugangsschranken der U-Bahn werden sogar von U-Bahn-Mitarbeiter*innen unterstützt. 41 Stationen waren von den Demonstrationen betroffen, mehrere von ihnen wurden völlig zerstört, Genoss*innen aus verschiedenen Städten (z. B. San Antonio, Concepción und Iquique) haben mit Solidarität reagiert. Die Revolte verbreitet sich. Dieses Schreiben soll ebenfalls dazu beitragen, dass sich die Unruhen ausdehnen.

In den frühen Morgenstunden wurde der Ausnahmezustand ausgerufen: Die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt, das Militär patrouilliert auf den Straßen. Heute Nachmittag wurde der öffentliche Verkehr in Santiago eingestellt, ab 17 Uhr werden die S-Bahnen still stehen, Einzelhandelsgeschäfte blieben heute geschlossen und wurden geplündert, Hafenarbeiter*innen schlossen sich den Mobilisierungen an, in mehreren Gemeinden der Stadt fällt der Schulunterricht aus, Gemeindegebäude, Polizei- und U-Bahn-Stationen gingen in Flammen auf.

Wenige Minuten nach der Ankündigung der Ausgangssperre, nach einem langen Tag, wurde klar, dass das gängige Bild über die chilenischen Leute, als Leute voller Angst, über Bord geworfen wurde. Ja, man hat uns ermordet, uns gefoltert, die Bilder unseres Leidens verbreitet, und dennoch werden wir für das allgemeine Elend und den ganzen Schrecken verantwortlich gemacht. Sie haben versucht uns ihre Regeln aufzuzwingen, uns geknebelt, aber sie können nicht mit unserer Wut fertig werden.

Hoffentlich ist dies erst der Anfang. Organisieren wir die Gemeinschaft des Kampfes, gehen wir auf die Straßen, um Barrikaden zu errichten, aber auch, um das soziale Gefüge zu errichten, das unseren Bedürfnissen gerecht wird. Es ist unerlässlich, unsere eigenen Organisationen zu stärken, eine Notfall-Vollversammlung einzuberufen, damit wir uns klar werden können was die Bedürfnisse des Kampfes momentan sind und wie wir diesen gerecht werden. Dem Chaos des Kapitalismus müssen wir mit Kraft und Organisation entgegentreten. Die antagonistische Gemeinschaft muss aus der Asche der Hauptstadt auferstehen.

Genossen und Genossinnen, wir müssen die Klarheit haben, uns nicht von den Reden über den Frieden verführen zu lassen, wir müssen mit mehr Kraft nach der menschlichen Revolution, nach der Diktatur der menschlichen Bedürfnisse, nach der Abschaffung des Kapitals streben. Der Kapitalismus bietet uns nichts. Kapitalismus bedeutet Tod. Und heute Abend entzünden wir endlich das Leben.

Froher erster Tag unseres Lebens.

Santiago de Chile, 20. Oktober 2019

Aus dem Spanischen übersetzt von Mariana Lautréamont.

Quelle

TROTZ BRUTALER STAATLICHER REPRESSION BREITET SICH DIE REVOLTE AUS: AUF ZUM GENERALSTREIK DIESEN MONTAG 21. OKTOBER! ES GEHT UM ALLES!

Als in Santiago vor einer Woche die U-Bahn-Gebühr auf den stratosphärischen Preis von 830 Pesos [ca. 1,04 Euro, Anm. d. Ü.] stieg, startete die unkontrollierbare studentisch-proletarische Jugend – deren Tugend es ist, die Negation dieser Welt in der Praxis voranzutreiben und jeden Dialog mit der Macht abzulehnen – eine Offensive zur massenhaften Umgehung der Zugangsschranken der U-Bahnen, indem sie eine große und selbstorganisierte Bewegung des Ungehorsams entfesselte. Diese stieß von Anfang an auf enorme Sympathie innerhalb unserer Klasse, da die Fahrpreiserhöhungen viele Leute betreffen, zumal täglich mindestens 3 Millionen Leute die U-Bahn benutzen. Der Staat mobilisierte hunderte von Spezialeinheiten zur Bewachung der U-Bahn-Stationen, was zu heftigen Konfrontationen führte, bei denen hunderte Menschen verletzt und verhaftet wurden. Am Freitag, dem 18. Oktober, kam es zu einem einschneidenden Ereignis: Während dem Protesttag gegen die Tariferhöhung wurden ab 15 Uhr nach und nach alle U-Bahn geschlossen, was zu einem kompletten Stillstand führte, den man so im städtischen Nahverkehr noch nie zuvor erlebt hatte. An jenem Tag entsprang ein Funke und die proletarische Klasse demonstrierte ihre Macht, als sich tausende von Menschen auf die Straße stürzten. Die Menschenmenge überrollte die überforderten Repressionsorgane des Staates und es kam zu unerwartet großen Unruhen im Zentrum der Stadt. Das Firmengebäude von ENEL [einem in Chile tätigen Elektrizitätsunternehmen, Anm. d. Ü.] brannte nieder und mehrere U-Bahn-Stationen erlitten das gleiche Schicksal. Der Staat des Kapitals zeigte sein wahres Gesicht und erklärte den «Ausnahmezustand». So patrouillierte das Militär zum ersten Mal seit dem Ende der Diktatur in den Straßen. Von dieser Nacht an wird nichts mehr so sein wie früher.

Ab Samstag Mittag kam es im Zuge einer Versammlung auf der Plaza Italia schnell zu einer verallgemeinerten Revolte mit aufständischen Tendenzen, die trotz der starken militärischen Präsenz auf den Straßen jeden Winkel der Stadt erreichte. Der Aufstand verbreitete sich im wahrsten Sinne des Wortes in jeder Stadt Chiles. Die Topfschlag-Proteste, die Barrikaden, die Angriffe auf staatliche Einrichtungen und die Sabotage strategischer Infrastrukturen für den Kapitalverkehr (Mautstationen auf Autobahnen, 80 U-Bahn-Stationen wurden teilweise zerstört und 11 vollständig zu Asche reduziert, dutzende von abgefackelten Bussen usw.) verbreiteten sich wie ein Ölfleck. Hinzu kamen Angriffe auf 130 Bankfilialen, 250 zerstörte Geldautomaten, die Belagerung von Polizeiwachen und einer Militärkaserne in Iquique und – was die herrschende Klasse am meisten irritiert hat – die Plünderung von Supermärkten und großen Einkaufszentren.

Angesichts solch kämpferischen Szenen, die für uns ein Fest sind und in denen sich das Proletariat selbst organisiert, um sich gegen seine Prekarisierung zu wehren, wurde der «Ausnahmezustand» auf etwa zehn Städte ausgedehnt, die sich dem Kampf angeschlossen haben. Zusätzlich wurde auch auch eine «Ausgangssperre» verhängt, die mit vorgehaltener Waffe von der Militär- und Polizeimeute durchgesetzt wird. Zurzeit sind 10‘500 Mann auf den Straßen und sie haben freie Hand, um zu schießen.

Über die Plünderungen und die sofortige Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse

Das sakrosankte Privateigentum wurde von zehntausenden von Proletarier*innen radikal in Frage gestellt, die sich in den zahlreichen Supermärkten und großen Kaufhäusern mit allem, was sie konnten, versorgten und die Regale leer räumten. In vielen Fällen wurden die Filialen sogar in Brand gesteckt, was die Bourgeoisie unheimlich verängstigte und ihre Repräsentant*innen dazu veranlasste, die Leute aufzurufen die «kleine Gruppe von Gewalttätern und Vandalen» ohne Vorbehalte «niederzutrampeln». Doch die Realität sieht anders aus. Selbst wenn die Herrschenden es nicht wahrhaben wollen, handelt es sich bei den Plünderungen nicht um eine Aktion von Minderheiten, sondern um ein Massenphänomen, das sich mit ungeheurer Kraft verbreitet hat.

Diejenigen von uns, denen alles genommen wurde und die ständig versuchen, irgendwie zu überleben, verschuldet, ohne die Möglichkeit finanziell über die Runden zu kommen, haben in der Praxis erkannt, dass wir für den Zugang du dem, was wir zur Befriedigung unserer Bedürfnisse benötigen, nicht bezahlen müssen. Die Reproduktion des täglichen Überlebens, die uns in der heutigen kommodifizierten Lebensweise auferlegt wird, ist konstant der Kapitalakkumulation der Bourgeoisie untergeordnet. All dies auf Kosten von uns Lohnarbeiter*innen, die dieses elende Leben Tag für Tag ertragen müssen. Wir haben nichts anderes getan, als uns das zu nehmen, was uns gehört. Wir haben uns das zurückgeholt, was uns seit jeher das Leben raubt, und das können die Herrschenden nicht ertragen. Kurz gesagt, die verallgemeinerte Revolte bedeutet, unser Menschsein zu bejahen, indem wir unsere Existenz als bloße Waren verneinen.

Die Presse: Wortführer*in und Apologet*in der Warenwelt

Die Presse hat eine grundlegende Rolle bei der Verteidigung des «gesunden Menschenverstands» und der Kanalisierung der so genannten «öffentlichen Meinung» gespielt. D. h. der herrschenden Logik des kapitalistischen Systems, wo materielle Dinge im Vordergrund stehen, denn die Produktion von Gütern zählt mehr als Menschenleben. Die Presse inszeniert sich als die Verteidigerin der «öffentlichen Ordnung», der «Menschenrechte», des Privateigentums und des «sozialen Friedens», um das Massaker zu rechtfertigen, das von der Wirtschaft und den reaktionärsten Kräften der Gesellschaft gefördert wird. Durch die Verzerrung und/oder Verheimlichung von Informationen, die Verbreitung von Lügen und falschen Geschichten und die Kriminalisierung der sozialen Subversion, ist die gesamte Presse zu einer Kollaborateurin des Staatsterrorismus geworden. Dafür müssen sie die Konsequenzen tragen. Es folgen einige Beispiele, um dies zu erläutern:

 Die Presse verschleiert die Zahl der Mordfälle, die die repressiven Kräfte des Staates zu verantworten haben. Zudem schweigen sie über die zahlreichen Berichte über den «unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt bei Verhaftungen, die Misshandlung von Kindern, Schläge gegen Gesichter und Oberschenkel, Folter, das Entkleiden von Frauen und Männern und sexuelle Erniedrigungen», die vom Nationalen Institut für Menschenrechte veröffentlicht wurden.

 Verbreitung von Falschinformationen. Z. B., dass in einigen Gemeinden wie La Pintana und Puente Alto kleine Bauernmärkte geplündert wurden, was völlig falsch ist. Die Bewohner*innen dieser Gemeinden haben in den sozialen Netzwerken und in den unabhängigen/autonomen Medien beteuert, dass infiltrierte Polizist*innen versuchen Falschinformationen zu verbreiten, um einen internen Konflikt innerhalb unserer Klasse zu fördern.

 Gezielte Angstmacherei, indem sie berichten, dass Plünderungen auch Privathaushalte und kleine Unternehmen betreffen werden. Auch wenn es vereinzelt zu solchen Ereignissen kam, handelt es sich um Einzelfälle die unsere Klasse entschlossen ablehnen muss.

 Unterscheidung zwischen «Bürgern» und «Kriminellen», zwischen «friedlichen» und «gewalttätigen» Demonstranten. Solch eine Einteilung zielt auf Spaltung ab und versucht die radikalsten Elemente der Bewegung, also der Teil der Bewegung, der der Revolte versucht eine antikapitalistische Richtung zu geben, zu isolieren.

 Die Presse schweigt über die Unterbrechung der Wasserversorgung, die mehrere Gemeinden in südlichen Peripherie Santiagos direkt betrifft und macht sich dadurch mitschuldig. «Zufälligerweise» findet die Unterbrechung an denjenigen Orten statt, an denen die Kämpfe gegen den Staat des Kapitals und seinen Institutionen am stärksten waren und wo seine Autorität am stärksten verachtet wird.

Die Regierung spricht bisher von 8 Toten, aber wir wissen, dass es viel mehr sind. Während Präsident Sebastián Piñera bekräftigt, dass «wir gegen einen mächtigen Feind kämpfen, der nichts und niemanden respektiert», beteuerte der verabscheuungswürdige Innenminister Andrés Chadwick in einer kurzen Erklärung im Fernsehen, dass 7 Menschen «gestorben» seien – und nicht durch den Staat ermordet wurden. Wir, die Teil dieses Kampfes sind und mit Genoss*innen in verschiedenen Teilen des Landes in Kontakt sind, wissen, dass die Toten viele mehr sind. In den sozialen Netzwerken und in den Gegeninformationsmedien kursieren Videos und Fotos von Menschen, die an unterschiedlichen Orten vom Militär und der Polizei ermordet wurden. Diese Informationen werden mittlerweile systematisch aus dem Internet entfernt.

Laut unserer Zählung – die aufgrund der bewussten Kampagne der Verschleierung und der Desinformation des Staats des Kapitals immer noch nicht bestätigt wurde – gab es bis jetzt 16 Tote: 1 Person in Quinta Normal, 2 in San Bernardo, 5 in Renca und 2 in der Gemeinde La Pintana, getötet durch Brände inmitten von Plünderungen, 1 Person in Lampa durch einen vorsätzlichen Angriff der Polizei, 1 Person durch Schüsse des Militärs in Colina, 3 in der Stadt La Serena und 1 Person in der Gemeinde Pedro Aguirre Cerda, die von der Polizei ermordet wurde. Diese vorübergehende Zählung könnte zunehmen, denn während wir diesen Text schreiben, gibt es, trotz der Ausgangssperre, heftige Auseinandersetzungen mit dem Militär, den Bullen und der Zivilpolizei.

Der Generalstreik vom Montag, den 21. Oktober, und dessen Perspektiven

Morgen, Montag den 21. Oktober, hat ein vielfältiger Zusammenschluss von Massenorganisationen zu einem Generalstreik aufgerufen, einem ersten Generalstreik, der sehr effektiv sein könnte, weil er sich, aufgrund des Zusammenbruchs des Verkehrssystems zumindest in der Stadt Santiago direkt auf die Produktion auswirken kann. Der Staat tut alles, damit die Menschen arbeiten gehen können: Die U-Bahn Linie 1 ist teilweise in Betrieb, der Busverkehr soll ebenfalls wieder in Gang gesetzt werden und die Bevölkerung wurde aufgefordert, sich «solidarisch» zu zeigen, damit die Leute ihren Arbeitsplatz erreichen können. Die Kapitalistenklasse ist nur daran interessiert, dass wir für sie produzieren. Wir dienen lediglich der Warenproduktion und Zirkulation und sollen die Kapitalakkumulation erhöhen. Aus diesem Grund rufen wir dazu auf, der Arbeit fern zu bleiben und sich aktiv am Streik zu beteiligen, so wie es die Gewerkschaft der U-Bahn-Arbeiter*innen aufgrund der polizeilichen und militärischen Repression tut. Darüber hinaus halten wir es für wichtig, rund um folgende Punkte zu agitieren:

 Wir dürfen nicht in gegenseitige Streitereien wegen Nahrung, Wasser oder sonstiger Bedürfnisse verfallen, denn Teil der Strategie des Staates, ist es uns zu spalten, um überhand zu gewinnen. Um unsere Probleme zu lösen, müssen wir uns als Gemeinschaft organisieren. Es gibt keinen anderen Ausweg.

 Wir müssen verhindern, dass die Parteien und die Sozialdemokratie sich zu «Repräsentanten» der Bewegung hochstilisieren, sich den Kampf aneignen und einen Dialog mit dem Staat führen, um das Feuer der Revolte zu löschen und um eine Lösung des Konflikts auszuhandeln, der auf oberflächlichen Reformen basiert, die nicht darauf abzielen, die Wurzel unserer Probleme zu beseitigen, die uns als Klasse plagen.

 Die Bildungsinstitutionen müssen besetzen werden, um sie zu Orten des Widerstands, der Debatte, der Begegnung und der Selbstorganisation zu machen, Nahrung und Medizin zu sammeln und Räume für die Betreuung unserer Verwundeten zu schaffen.

 In allen Gebieten, wo der soziale Kampf tobt, müssen Basisversammlungen organisiert werden, um gemeinsam die Richtung der laufenden Revolte zu bestimmen.

 Wir müssen die Freiheit der etwa 1700 Verhafteten fordern, die im Zuge der Revolte strafrechtlich verfolgt werden.

AUF ZUM GENERALSTREIK! ES GEHT UM ALLES!

LASST UNS EIN WIRKLICHES LEBEN ERKÄMPFEN!

Einige kommunistisch/anarchistische Proletarier*innen, die Teil der Revolte sind.

Übersetzt aus dem Spanischen von Eiszeit

Quelle